Afghanistan
Erstmals wurde das Frauenwahlrecht in Afghanistan im Jahr 1919 eingeführt, aber die Geschichte des Frauenwahlrechts unterscheidet sich doch von anderen Orten dieser Welt.
1919 – noch vor den Vereinigten Staaten und vielen europäische Staaten – wurde das Frauenwahlrecht zwar eingeführt, allerdings bereits 1929 wieder abgeschafft.
Über drei Jahrzehnte später, im Jahr 1963, wurde den Frauen in Afghanistan das politische Recht der gleichberechtigten Wahl erneut gewährt. Um – weitere drei Jahrzehnte später – im Jahr 1996 wieder von den Taliban kassiert zu werden. Seit 2004 dürfen Frauen wieder wählen.
Für die Entwicklung des Frauenwahlrechts in Afghanistan spielte die Haltung des herschenden Königs Habibullah Khan und seines Sohnes Amanullah eine wesentliche Rolle. Als Habibulah 1901 König Afghanistans wurde holte er den ins Exil nach Syrien geflüchteten Mahmood Tarzi nach Afghanistan zurück. Die Familie Tarzi engagierte sich für die Modernisierung des Landes und König Abdullah symphatisierte mit den liberalen Ideen und Reformen, mit denen Tarzi Afghanistan voranbringen wollte. 1913 heiratete Prinz Amanullah Khan die Tochter von Mahmood Tarzi – Soraya Tarzi.
Soraya kam 1899 in Damaskus, Syrien auf die Welt. Dort studierte sie auch und wuchs im Umfeld und Einfluß westlicher Kultur auf. Als ihr Ehemann Amanullah Khan 1919 König wurde, war sie eine einflußreiche und wichtige Person hinter den Reformen, mit denen er Afghanistan voranbringen wollte. Es war Soraya, die die erste Mädchenschule in Afghanistan eröffnete und sich für die Bildung und Qualifizierung von Mädchen und Frauen einsetzte.
So setzte sie sich beispielsweise 1928 dafür ein, dass 15 junge Frauen in die Türkei reisen konnten, die sich dort als Lehrerinnen und Krankenschwestern weiterbilden konnten. Bereits 1921 veröffentlichte sie eine wochentliche Zeitung für Frauen mit dem Titel Irshad-e-naswan. Die Zeitung thematisierte das Alltagsleben von Frauen, ebenso die Rechte der Frauen.
Am 9. Jahrestag der Unabhängigkeit Afghanistans, 1928, sagte sie in ihrer Rede:
”... die Unabhängigkeit gehört uns allen, deshalb feiern wir sie. Aber denken sie, dass unsere Nation von Anfang nur Männer braucht um ihr zu dienen? Frauen sollten ihren Anteil ebenso wie die Frauen in den frühen Jahren unsere Nation und des Islam übernehmen. Aus ihren Beispielen müssen wir lernen, dass wir alle zur Entwicklung unsere Nation beitragen müssen und dass dies nicht ohne Wissen möglich ist.
Als Königin Soraya Tarzi mit ihrem Gatten im Dezember 1927 zu einer 8-monatigen Europareise aufbricht, hat ihr König Amanullah u.a. bereists die allgemeine Schulpflicht, Gleichbehandlung von Mann und Frau und die Trennung von Kirche und Staat auf den Weg gebracht. In Berlin dinierte Soraya Tarzi mit Reichspräsident Hindenburg, in Oxford wurde ihr ein Ehrentitel der Oxford University verliehen.
In Europa gefeiert, in Afghanistan „gefeuert“ – in Afhganistan verbreitete Fotos zeigen die Königin westlich gekleidet, ohne Kopfbedeckung, einen Handkuss empfangend. Der Aufruhr der reformfeindlichen geistlichen Mullahs gipfelte in einer handfesten Rebellion gegen das Königspaar und zwang den König 1929 zum Abdanken und zur Flucht ins Exil. Am 20. April 1968 verstarb Soraya Tarzi in Rom.
Ironie der Geschichte: An der Verbreitung der Fotos war die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien aktiv beteiligt, Reformen und Frauenwahlrecht waren weniger wichtig, als der politische Einfluß, den man sich von den Nachfolgern Khans versprach. Mit den wiedererstarkten Klans und Mullahs verschwand auch das Frauenwahlrecht umgehend in der Versenkung. Schulen für Mädchen wurden geschlossen und die einzige Frauen-Zeitschrift Irshad-e-naswan verboten.
Erst drei Jahrzehnte später wurde das Wahlrecht der Frauen wieder eingeführt, 1964 wurde erstmals in Afghanistan das volle Frauenwahlrecht eingeführt, denn im Unterschied zu 1919 durften Frauen nicht nur wählen, sondern auch gewählt werden, wie z.B. Kobra Noorzai, die als erste afghanische Frau zur Ministerin gewählt wurde. Von 1965-69 war sie Gesundheitsministerin.
Ende der 1940-er Jahre öffnete sich für Frauen wieder der Weg in die Ausbildung und Arbeitsfelder Bildung und Erziehung.
1957 war Kobra Noorzai eine der Gründerinnen des unabhängigen Frauenverbands De Mermeno Tolena und war zusammen mit Masoama Wardakir in der 23-köpfigen Kommission, die die dritte afghanische Verfassung erarbeitete. Das in der Verfassung garantierte allgemeine, freie Wahlrecht für Männer wie Frauen war ein Erfolg der westlich orientierten Eliten in Kabul, Herat, Mazar-il-Sharif und erhielt massiven Gegenwind vor allem in den ländlichen Provinzen.
Eine weitere Stärkung der Frauenrechte, wie die Abschaffung des Brautpreises, die freie Wahl des Ehepartners und der Berufswahl durch die Verfassung von 1975/77 blieb an vielen Orten ohne Umsetzung. Unter der sowjetischen Kontrolle allerdings wurde die Teilhabe der Frauen im zivilen Alltag real: 70% der Lehrkräfte waren Frauen, 40% der Ärzteschaft und die Hälfte der Studierenden war weiblich.
Mit dem Zusammenbruch des System 1992, dem folgenden Bürgerkrieg mit der Herrschaft der Taliban bis 2001 verloren Frauen z.T. über Nacht Rechte wie Arbeitsplätze und waren erste Opfer von Gewalt.
Die Verfassung von 2004 garantiert heute Frauen 27% der Sitze im afghanischen Parlament, mind. 2 Frauen aus jeder der 34 Provinzen vertreten ihre Wähler*innen. Bei den Wahlen 2010 waren 40% der Wahlbeteiligten Frauen, 2018 waren es 34%. Eine der ersten Ministerinnen (für Frauenfragen) war Sima Samar, die erste Gouverneurin einer Provinz wurde 2005 Dr. Habiba Sarabi.