Brasilien
Das Gesetz und die Zahlen
In Brasilien durften Frauen bundesweit erst seit dem Jahr 1932 wählen. Allerdings war das Recht den verheirateten Frauen (mit Genehmigung des Ehemannes), Verwitweten und ledigen Frauen mit eigenen Einkommen vorbehalten. Erst im Jahr 1934 durften alle Frauen wählen und gewählt werden. Die Wahlpflicht, wie sie schon für Männer galt, wurde für die Frauen erst im Jahr 1946 eingeführt. Von einer gesamten Anzahl von 144 Millionen brasilianischen Wählern sind 75.266.056 Frauen, also 52,24% der Wählerschaft (Daten: TRE 2018).
Wie alles anfing
Der Kampf für das Frauenwahlrecht im Brasilien begann bereits 22 Jahre bevor sie das Recht per Gesetz erhielten.
Genau im Jahr 1910, wurde die erste (und bis heute die einzige) feministische Partei im Land gegründet. Sie hieß „Partido Republicano Feminino“ (frei übersetzt: Weibliche Republikanische Partei) und hat mehr oder weniger die Strategie – radikale Aktionen ausgenommen – der englischen „Suffragetten“ übernommen.
Die PRF wurde in Rio de Janeiro von der Lehrerin Leolinda Daltro und der Schriftstellerin Gilka Machado gegründet, zwei der Pionierinnen im Kampf für das Frauenwahlrecht in Brasilien. Leolinda Daltro kam aus dem Bundestaat Bahia, im
Nordosten Brasiliens, und war Feministin, Lehrerin, alleinerziehende Mutter von fünf Kindern und hat nicht nur das Wahlrecht für Frauen gefordert. Sie hat auch für das Recht auf Berufsausbildung für junge Frauen gekämpft und war für die Einführung der legalen Ehe-Scheidung (Divórcio), was damals ein Skandal war.
Die Mehrzahl der Partei-Mitglieder bestand aus Leolindas Schülerinnen in der Schule „Escola Orsina da Fonseca“, wo sie auch die Leiterin war. Sie waren nicht mal 100, aber dafür sehr hartnäckig in ihren Aktionen. Wie die „Suffragetten“ haben sie die Standarte, die Brustschärpe und die Broschen getragen.
Im Jahr 1919 war Leolinda die erste Frau, die für eine Bürgermeister-Wahl in Brasilien kandidierte. Ihre Kandidatur wurde aber abgelehnt. Wie Emmeline Pankhurst aus England wurde auch Leolinda von der Presse ausgelacht und von der Öffentlichkeit schikaniert. Doch weder die Rückschläge noch die Demütigungen nahmen der brasilianischen Feministin den Mut.
Leolinda starb im Jahr 1935, ihre Ideale lebten aber weiter mit der „Federação Brasileira pelo Progresso Feminino“ (frei übersetzt: Brasilianische Föderation für den weiblichen Fortschritt), gegründet im Jahr 1922 in São Paulo und von der Biologin Berta Lutz geleitet.
Andere Pionierinnen
Leolinda Daltro, Gilka Machado und Berta Lutz waren wichtige Namen, aber nicht die einzigen Pionierinnen im Kampf für das Frauenwahlrecht in Brasilien. Im Land gab es noch andere Kämpferinnen und viele spannende Geschichten.
Die erste Wählerin und die erste Bürgermeisterin
Im Jahr 1927 im Bundestaat Rio Grande do Norte, im Nordosten Brasiliens, also 5 Jahre vor dem Beschluss über das Frauenwahlrecht auf Bundesebene, hat sich die Sekundarlehrerin Celina Guimarães Viana als erste Wählerin durch eine Petition registrieren lassen. Das war nur möglich, weil das Wahlgesetz im Bundesstaat Rio Grande do Norte viel fortgeschrittener als das des Landes war. Im Text hieß es: „im Rio Grande do Norte dürfen alle Bürger wählen und gewählt werden, unabhängig vom Geschlecht“. Celina Viana durfte im April 1928 in der Stadt Mossoró wählen. Ihr Erfolg hat viele Frauen so motiviert, dass ähnliche Petitionen in anderen Städten von Rio Grande do Norte und in weiteren 9 Bundesländern beantragt wurden.
Die erste Bürgermeisterin in Brasilien und in Südamerika – so die damalige Nachricht in der amerikanischen Zeitung New York Times – kam auch aus dem Bundesland Rio Grande do Norte. Im Jahr 1928 wurde Luisa Alzira Teixeira Soriano als Bürgermeisterin der Stadt Lages mit 60% der Stimmen gewählt. Luisa Soriano hat für die Republikanische Partei kandidiert, war aber leider nur ein Jahr im Amt. Auf dieses hat sie 1930 verzichtet, weil sie unzufrieden mit der Wahl des Präsidenten Getúlio Vargas war. Trotz der kurzen Regierungszeit von Alzira, konnte die kleine Stadt Lages einige Fortschritte erreichen, mit dem Ausbau der lokalen Infrastruktur (Bau von Straßen und Verbesserungen bei der Straßenbeleuchtung). Alzira ist in der Politik geblieben: Im Jahr 1947 wurde sie Gemeinderätin in der Stadt Jardim de Angicos, wo sie noch zwei weitere Legislaturperioden übernommen hat.